Das große Experiment ist gestartet: Seit dem 1. Juni können deutschlandweit sämtliche Verkehrsmittel des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) für nur 9 Euro pro Monat genutzt werden. Das 9-Euro-Ticket ist für einen geplanten Zeitraum von drei Monaten erhältlich – von Juni bis einschließlich August 2022. Ziel der Bundesregierung ist es, die von der Corona-Pandemie sowie der anhaltenden Inflation gebeutelten Pendler:innen zu entlasten und mit der Aktion zum Umstieg vom Auto auf Bus und Bahn zu motivieren.
In dem Artikel „Zeit für mich oder Zeitverschwendung?“ sind wir der Frage nachgegangen, ob sich das Pendeln lohnt. Vor dem neuen Hintergrund des 9-Euro-Tickets wollen wir diese Fragestellung noch einmal aufgreifen und betrachten, ob bzw. welche Pendler:innen von der Kostenentlastung profitieren und für wen der Umstieg auf den klimafreundlichen ÖPNV eine sinnvolle Alternative darstellen kann.
9-Euro-Ticket: Welche Verkehrsmittel können Pendler:innen nutzen?
Grundsätzlich ist das 9-Euro-Ticket gültig für Busse, U-Bahnen, Straßenbahnen sowie sämtliche Züge des Nahverkehrs. Als Nahverkehrszüge gelten IRE (InterregioExpress), RE (RegionalExpress), RB (RegionalBahn) und S-Bahn. Ausgeschlossen von dem Angebot sind Fernzüge, also beispielsweise Intercity-Express (ICE), Intercity (IC) und EuroCity (EC).
Übrigens ist die Gültigkeit unabhängig davon, bei welchem Verkehrsanbieter bzw. bei welchem Verkehrsverband Pendler:innen ihr 9-Euro-Ticket erwerben. Es kann in ganz Deutschland in jedem Verkehrsverbund genutzt werden.
9-Euro-Ticket: Wer profitiert am meisten?
Pendlerinnen und Pendler, die bereits ohnehin regelmäßig mit dem Bus oder der Bahn zu ihrem Arbeitsplatz gelangen, sind sicherlich die großen Gewinner:innen des dreimonatigen Aktionsangebots. Nehmen wir drei Regionen als Beispiel: Münster, Berlin und Hannover.
In Münster kostet das Monatsticket für den Busverkehr im Stadtgebiet aktuell 78 Euro. Hier bringt das 9-Euro-Ticket bereits eine Ersparnis von 69 Euro pro Monat. Über den Zeitraum von drei Monaten hinweg also ganze 207 Euro. Pendler:innen aus dem Umland, die mit dem Zug zur Arbeit fahren, sparen zusätzlich. Je nach Tarifgebiet kostet das 30-Tage-Ticket im Westfalentarif zwischen 198,70 bis 303,50 Euro. Die Sparmöglichkeiten für bahnfahrende Pendler:innen aus dem Umland sind damit umso höher, je weiter sie von ihrem Arbeitsort Münster entfernt wohnen.
Auch in anderen Regionen sparen ÖPNV-Pendler:innen viel Geld. So verlangt die BVG in Berlin für ein reguläres Monatsticket (kein Abo) zwischen 86 bis 107 Euro. Berliner ÖPNV-Pendler:innen haben also jeden Monat mindestens 77 Euro mehr im Portemonnaie. In Hannover beispielsweise liegt der monatliche Tarif der GVH zwischen 48,40 Euro und 115 Euro. Immerhin eine monatliche Ersparnis von mindestens 39,40 Euro. Es liegt klar auf der Hand: bereits in der günstigsten Tarifzone der verschiedenen Verkehrsanbieter werden Pendler:innen spürbar entlastet.
Übrigens: Diejenigen, die bereits ein Ticket-Abo mit im Vorfeld festgelegten Konditionen nutzen, gehen nicht leer aus. Je nach Bezahlmodell erhalten Sie für den Aktionszeitraum des 9-Euro-Tickets eine nachträgliche Erstattung des monatlichen Differenzbetrags bzw. statt des regulären Monatspreises werden lediglich 9 Euro vom Konto abgebucht.
9-Euro-Ticket: Lohnt der Umstieg vom Auto auf den ÖPNV?
So viel vorab: Es kommt darauf an! In unserem ersten Artikel zum Thema Pendeln haben wir bereits erwähnt, dass 69 Prozent aller Pendlerinnen und Pendler ihren täglichen Weg zur Arbeitsstelle mit dem PKW bewältigen. Gerade in Zeiten explodierender Benzin- und Dieselpreise sollte der ÖPNV für diese Gruppe doch eine attraktive Alternative darstellen – insbesondere mit dem 9-Euro-Ticket. Allerdings trifft das nur auf einen Teil der Auto-Pendler:innen zu.
Betrachten wir zunächst den Faktor Kosten: Bei durchschnittlich 21 Arbeitstagen im Monat kostet der tägliche Arbeitsweg mit dem 9-Euro-Ticket weniger als 45 Cent. Für diesen Betrag lohnt es sich auf den ersten Blick kaum, den eigenen PKW zu starten. Insbesondere dann nicht, wenn neben Spritkosten auch Verschleiß und Wertverlust des Fahrzeugs mit einrechnet werden. Zudem kann das 9-Euro-Ticket auch in der Freizeit für Tages- und Wochenendausflüge mit dem Nahverkehr genutzt werden. Ein weiterer schöner Benefit, der dafürspricht, das Auto in den kommenden zwei Monaten einfach mal stehen zu lassen.
Für die meisten Auto-Pendler:innen ist der Umstieg auf den ÖPNV jedoch weniger ein Rechenexempel, sondern vielmehr eine Frage der Zeitersparnis bzw. der Mobilität und Flexibilität. Kurz: eine Frage der Verkehrsinfrastruktur. Und diese stellt insbesondere Arbeitnehmer:innen im ländlichen Raum sowie in Dörfern vor eine große Herausforderung. Sie sind schlichtweg auf ihr Auto angewiesen.
Laut einer Studie der DB-Tochter ioki wird weniger als die Hälfte aller Haltestellen auf dem Land stündlich oder häufiger bedient. Dazu kommt der zusätzliche Weg vom Wohnhaus zur nächstgelegenen Bushaltestelle bzw. zum nächsten Bahnhof. Und oftmals sind Landbewohner:innen – trotz zähem Berufsverkehr – mit dem Auto deutlich schneller an ihrem Arbeitsort, als mit einem Bus, der an zahlreichen Haltestellen entlang der Wegstrecke stoppt. Das Stadt-Land-Gefälle im Nahverkehr bedeutet in diesem Fall mehr Frust als Lust. Hier gibt es in Sachen ÖPNV-Ausbau und neue Mobilitätskonzepte noch viel zu tun.
Fazit: Pendler:innen in (Groß-)Städten, stadtnahen Wohnorten und Metropolregionen steht i.d.R. ein gut ausgebautes, dichtes ÖPNV-Netz zur Verfügung. Für diese Gruppe kann sich der Umstieg vom PKW auf den Nahverkehr durchaus lohnen – während des 9-Euro-Tickets vor allem auch finanziell. Eine eventuelle Zeitersparnis bzw. ein Zeitverlust sind vom Wohnort sowie den individuellen Faktoren des jeweiligen ÖPNV-Angebots abhängig. Stichworte: Zugausfälle, Fahrgastauslastung und Umsteigemöglichkeiten. Nichtsdestotrotz bietet Dir das 9-Euro-Ticket eine gute Gelegenheit, ab sofort die Pendelalternativen Bus und Bahn ausgiebig auszuprobieren, das Für und Wider des Nahverkehrs zu entdecken und auf dieser Basis abzuwägen, ob Du nicht doch Deine „persönliche Mobilitätswende“ einläuten solltest.